Entfaltend Führen
7 Aufgaben entfaltender Weltgestaltung
„Entfaltend Führen“ bedeutet, aktive Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Mitarbeiter und Organisation ihr Potenzial entfalten und zunehmend an Lebendigkeit und Wirksamkeit gewinnen.
Diese Verantwortung ist im Kern eine innere Haltung, eine Frage des Herzens. Praktischen Ausdruck findet sie in taktvoller, situationsangemessener Interaktion, der es gelingt, auf der Basis von emotionaler Reife positive Orientierung und förderliche Korrektur anzubieten. Sie drückt sich in drei aktiven Bezügen und Wirksamkeiten aus: in Bezug auf sich selbst (Selbstführung), in Bezug auf die Mitarbeiter (Menschenführung) und in Bezug auf die Organisation (organisationale Führung).
Alle drei Bezüge verbinden sich zu einem großen Ganzen und prägen so die der Führung anvertraute Sozialwelt. Wer als Führende(r) dieses Ganze auf Dauer so zu orchestrieren versteht, dass es sich für die Zielgruppe, Mitarbeiter und Organisation gleichermaßen wie eine Symphonie zu ihrem vollen Wirkpotenzial entfaltet, die oder der führt „entfaltend“. Wenn dies gelingt und Menschen zum Wohle des Ganzen spürbar zu sich selbst finden und als natürlicher Ausdruck ihrer Kraft entscheidend zum Gemeinsamen beitragen, dann empfinden wir das als „schön“ – ein Ausdruck, der auf eine Qualität von Stimmigkeit, Lebendigkeit und Entfaltung hinweist.
Wie Forschung und Praxis übereinstimmend zeigen bedarf es für eine gelingende Weltgestaltung der Wirksamkeit auf zwei Ebenen: der innerpsychischen und der interaktionalen. Letztlich geht es darum, auf der Basis einer attraktiven Persönlichkeit Menschen in organisierten Zusammenhängen situationsgerecht in Richtung einer erstrebenswerten Zukunft zu beeinflussen. Dafür braucht es zum einen Reife und zum anderen Takt. Und beides ist unabhängig von einer Vorgesetztenfunktion – entfaltend Führen kann eben „Jedermann“ oder „Jederfrau“[1]:
[1] Mary Parker Follett sprach schon 1924 vom „Leadership of Everyman”.
„Entfaltend Führen“ als Metatheorie mit 7 Führungsaufgaben
Die 7 Aufgaben entfaltender Weltgestaltung als verantwortliches Führen
Bewusstheit & Haltung
Wahrnehmen
Urteilen
Eingreifen
Form geben
Kontakt halten
Wirkung zulassen
Weil der oder die entfaltend Führende weiß, dass das Gelingen der Führungsarbeit wesentlich vom Einsatz der eigenen Person abhängt, arbeitet sie bewusst an der eigenen Persönlichkeit. Selbstkompetenz, Authentizität, emotionale Selbstregulation und reflektierte Werteorientierung sind zentrale Aspekte davon (1). Persönlichkeit ist das Fundament der zwei Grundsäulen allen führenden Handelns: des Wahrnehmens und des Urteilens. Besitzt die Führungskraft ein feines Gespür für Spannungen, Schwingungen und Tendenzen, so ist sie gut gerüstet, auf das menschlich-organisatorische Gewebe, das wir Organisation nennen, Einfluss zu nehmen (2). Hat sie zudem die Fähigkeit, eigene Bilder einer gelingenden Zukunft zu entwerfen, um ihrem Team positive Orientierungspunkte anzubieten und ist sie in der Lage, durch innere Klarheit und Konsistenz der Gruppe zur Entwicklung einer gemeinsamen Identität zu verhelfen, so wird ihre Wirkung nicht ausbleiben (3). Zwei entscheidende Momente dieses inneren Selbstverständigungsprozesses sind zum einen der „Moment der Wahrheit“, wenn in ganz konkreten Situationen klar wird, dass es des wegweisenden Einflusses bedarf. Und zum anderen der „Moment der Entscheidung“, in dem die Führungskraft die Entscheidung trifft, den eigenen Impuls als Orientierung für andere anzubieten.
Auf Basis dieser drei innerlichen Grundaufgaben entfaltet sich die eigentliche Führungspraxis, deren Alltagsereignisse immer in der Spannung zwischen organisationalen Bedingtheiten und menschlichen Bedürfnissen stehen. Dieses Spannungsfeld als Spielraum zur Entfaltung sowohl der menschlichen als auch der organisationalen Potenziale zu gestalten, ist worum es bei der Führungsaufgabe geht. Und während dabei immer beide Seiten zu bedenken sind, ist die oder der Führende manchmal mehr mit der zwischenmenschlichen Seite beschäftigt und manchmal mehr mit der organisationalen. Auf der zwischenmenschlichen Seite ist sie vor allem als begegnender, ermutigender und intervenierender Mensch gefragt, dessen zentrales Werkzeug das Gespräch und die eigene Persönlichkeit ist (4). Auf der Seite der Organisation kann die Führungskraft z.B. dadurch Einfluss nehmen, dass sie organisationale Strukturen und Abläufe gestaltet oder in Gang hält. Ihre Führung erhält hier eine strukturierende, formgebende oder strukturerhaltende Wirksamkeit (5). Bei vielen alltäglichen Führungstätigkeiten geht es genau um die orchestrierende Verbindung und resonante Integration dieser beiden Ebenen, die nur im guten Kontakt zueinander sowie den beteiligten Personen und Kontexten möglich ist. Diese anspruchsvolle Verbindung bedarf einer taktvollen Interaktion aller Aspekte wie sie z.B. bei strategischen Planungen, Teambesprechungen oder Mitarbeitergesprächen gefragt ist (6).
Wurden alle genannten Aufgaben gelingend bearbeitet, besteht die letzte Aufgabe von Führung schließlich darin, sich entspannt-gespannt zurückzulehnen und das menschlich-organisationale Gefüge, für das man Verantwortung übernommen hat, in seiner Lebendigkeit und Wirksamkeit zu betrachten – und zwar ganz bewusst ohne ständig nachzusteuern. Manche Dynamiken, gerade die kulturbildenden, brauchen Zeit und Raum sich zu entfalten und können nur im gezielten Los- und Zulassen erlebt – oder eben auch vermisst werden (7). Aus dem wachen Zulassen an der Grenze der eigenen Wirkungsmacht werden neue Wahrnehmungen relevant, auf welche dann zum richtigen Zeitpunkt die nächste taktvolle Intervention folgen darf.
Im Ganzen bewirkt Führung in diesem Sinne einen andauernden Lern- und Entwicklungsprozess hin zu mehr Potenzialentfaltung, Lebendigkeit und Wirksamkeit. Dies gilt für die beteiligten Menschen als einzelne Personen sowohl in als auch jenseits ihrer organisationalen Rollen. Und dies gilt auch für die Organisation als Ganzes, als soziales Gefüge, als selbsterhaltendes System und als eigene soziale Welt, in der sich Weltwerdung und Menschwerdung zugleich ereignen.
Zur Herleitung der Metatheorie "Entfaltend Führen"
Die Theorie entfaltenden Führens versteht Führung als bewusste verantwortliche Gestaltung menschlicher Welt. Sie steht in enger Beziehung zu Konzepten wie Lebendigkeit, Schönheit, Ästhetik, Resonanz, Gespräch und menschliche Reife.
Sie integriert Wissensbestände der Führungsforschung, Soziologie (insbesondere Systemtheorie und Konstruktivismus), Kulturwissenschaft, Philosophie, Pädagogik, Psychologie und Komplexitätswissenschaft und verortet sich im Feld der Organisationsästhetik. Als Metatheorie bietet sie einen Verortungsrahmen für alle gängigen Führungstheorien.
Die wissenschaftliche Grundlage entstand 2013 im Rahmen einer Masterarbeit an der bildungswissenschaftlichen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. In diesem Zusammenhang wurden über 100 Führungstheorien zu 14 Theorieclustern verdichtet und auf der Grundlage eines differenztheoretischen Modells von Entfaltung kartiert und analysiert. Aus den so erzielten Erkenntnissen wurde unter Einbezug bildungs- und humanwissenschaftlicher Überlegungen eine kohärente Metatheorie mit 3 inneren und 4 äußeren Führungsaufgaben im basalen Dreiklang Wahrnehmen – Urteilen – Handeln geschaffen.
„Entfaltend Führen“ ist von Anfang mit einem Interesse an praktischer Wirksamkeit konzipiert. Dazu trägt die über 15-jährige internationale Führungserfahrung des Autors genauso bei wie die intensive Anwendung, Praxisforschung und Weiterentwicklung im Rahmen der Beratungsarbeit von SHIFTHAPPENS. Mittlerweile haben sich ca. 200 Führungskräfte in einer so verstandenen Entfaltungs-Praxis weitergebildet – zum Teil mit großartiger Wirksamkeit. Die begleitende Forschung und fortlaufende Theoriearbeit drückt sich u.a. aus in einer laufenden Promotion an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, einer ersten empirischen Untersuchung unter Begleitung der Humboldt Universität zu Berlin sowie einer beginnenden Reihe kleinerer und größerer Publikationen.
Ausgewählte Publikationen
Splitt, M. (2015): Organisationen sind Gespräche: Gedanken über das Entstehen und Handlungsvollzüge von Organisationen, in: Ostermeyer, S.P. / Krüger, S.-K. (Hg.): Aufgabenorientierte Wissenschaft. Formen transdisziplinärer Versammlung (Dialog der Wissenschaften 2), Münster: Waxmann, 151-159.
Wolf, J.A. (2015): Entfaltend Führen. Eine Theorie verantwortlichen Führens in komplexer Welt, in: Ostermeyer, S.P. / Krüger, S.-K. (Hg.): Aufgabenorientierte Wissenschaft. Formen transdisziplinärer Versammlung (Dialog der Wissenschaften 2), Münster: Waxmann, 186-210.
Wolf, J.A. (2017[2013]): Entfaltend Führen. Grundzüge einer Führungstheorie für das Komplexitätszeitalter, Masterarbeit, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Fakultät für Humanwissenschaften, http://dx.doi.org/10.25673/4574.
Wolf, J. A. (2019): Ästhetische Führung im Spiegel des FELIX AESTHETICUS. Leitbild für Führende in dynamischer Zeit, Books on Demand: Norderstedt.
Kontakt
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Marcus Splitt
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