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Irvin Yalom: Sehr sehr lesenswert!

Irvin D. Yalom, ist einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste zeitgenössische Psychoanalytiker in den USA und weit darüber hinaus. Es gibt Menschen, die halten ihn für den einflussreichsten Therapeuten überhaupt. Mit so viel Ansehen und Ruhm bedacht, lohnt ein Blick auf das, was daran dran ist. Und ich muss sagen: Eine ganze Menge! Ich habe Yalom vor einiger Zeit für mich entdeckt und schnell gemerkt, dass ich schon „late to the Party bin“, wenngleich es doch auch noch recht viele Kollegen aus Coaching und Beratung gibt, die ihn als Autor und brillanten Geschichtenerzähler noch gar nicht kennen.


Hier ein paar Gedanken zu meinem mindestens 3-fachen Lernen mit und von Yalom:

1. Lernen über die Auseinandersetzung mit sich selbst als Coach

Wenn Menschen zu uns ins Coaching kommen, dann machen wir uns in den ersten Sekunden ein Bild von Ihnen. Die Frage ist unter anderem wie wir mit unseren eigenen Vorlieben, Geschmacksfragen, Empfindungen umgehen, wenn wir zum ersten Mal einem Menschen begegnen. Die schonungslose Offenheit Yaloms gegenüber den auch noch so tiefverborgenen eigenen Wert-Urteilen und Gefühlen wie Ekel, Freude, Sympathie etc. haben eine besondere Qualität. Hier sinngemäß zwei Kostproben:

  • Sätze wie: „Diane betrat den Raum und sie war mir sofort unsympathisch. Wie sehr kann sich ein Mensch gehen lassen, dachte ich...“

  • Oder: „Mir war überhaupt nicht klar, wie ich diesem Menschen helfen sollte. Panik machte sich in mir breit. Da fiel mir zum Glück ein Trick ein, den viele Therapeuten anwenden…"

Am Thema Schonungslosigkeit habe ich zumindest Luft nach oben und wenn ich mir so meine Supervisionen mit Coaches und Beratern ansehe, dann sehe ich da bei anderen auch Wachstumsmöglichkeiten. Allzu schnell wird da abgelenkt oder rationalisiert - Virginia Satir lässt grüßen - wo es doch eigentlich darum ginge. mal genau hinzuschauen, welcher Bug in einem Selbst da gerade am Wirken ist.


2. Lernen über das „sich zur Verfügung stellen“

Die Frage meines Supervisors klingt in mir nach: „Marcus, bist Du noch neugierig auf deinen Coachee…?“ Gerade hatte ich mich über einen zähen Prozess begklagt und mich gefragt, was ich noch tun könnte.

Die Lektüre von Yalom hat mich neu ermutigt mir durchaus viel Zeit dafür zu nehmen, ob ich eine*n Coachee annehme oder nicht. Kommt ein tragfähiges Arbeitsbündnis zustande oder nicht. Habe ich Neugier? Will ich mich "committen" wie es so schön heißt oder will ich nur mein Umsatzziel erreichen? Wenn Ja, dann richtig, und dann mit Vollgas. Ja, auch wir Coaches wollen etwas, es gibt einen Grund, warum wir anbieten was wir anbieten. Die Erzählung der Absichtslosigkeit ist völlig absurd. Auch hier die Frage: Sind wir uns klar darüber wie wir uns zur Verfügung stellen? Welche möglichen unbeabsichtigten Nebenwirkungen auftreten können? Und wenn neue uns unbekannte Nebenwirkungen auftreten wie offen wir damit umgehen? Hier lässt sich viel lernen von einem der wahrscheinlich "schon alles gesehen“ hat.


3. Lernen durch „selber auf der Couch liegen“

Tja, und schließlich laden seine Bücher ein selbst Platz zu nehmen, sich von Yalom in die eigene Innenwelt locken zu lassen und sich für sich selbst und die eigenen Vorgänge zu interessieren. Schnell geht es dann um Existenzielles:

  • Tod

  • Isolation

  • Freiheit

  • Verantwortung.

Wer sich einlässt wird belohnt und trifft längst bearbeitete alte Bekannte, die einem nochmal etwas erzählen, oder neue bzw. übersehene oder verdrängte Themen, die die Einladung zur Auseinandersetzung nur allzu gerne annehmen.


Bei soviel Intensität ist es dann schon gut, auch die Dosierung der Yalomschen Medizin selbst in die Hand zu nehmen. Nach einem Yalom-Buch oder Kapitel brauche ich oft erstmal Pause.


Ach ja, humorvoll und unterhaltsam sind seine Bücher auch :)

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