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Andreas Wolf

Persönlich werden statt sachlich bleiben

Wie häufig haben Sie das schön gehört, wenn die Argumente anfangen zu fliegen und das Adrenalin in der Hitze des Gefechtes steigt: "Bitte sachlich bleiben!", "Lasst uns sachlich bleiben!"?

"Sachlich bleiben" ist der Reflex der intellektuellen Elite, wenn die "Gefahr" von Emotionen im Raum steht. Es scheint der goldene Weg, das Ideal einer guten inhaltlichen Streitkultur. Bleib bei der Sache, gehe ja nicht zur Person. Sprich nicht von dir und fange bloß nicht an, den anderen zu bewerten und am Ende "persönlich anzugreifen". Es lohnt sich hier genauer hinzuschauen, denn... es liegt eine unheilvolle Verwechslung vor!


Ja, klar! Ein gutes Streitgespräch, ein produktives Ringen um die Sache braucht ein Aushandeln verschiedener Perspektiven, Kriterien, Gewichtungen und Bewertungen. Und ja klar, was es nicht vertragen kann, ist, wenn es in dem Sinne "auf die persönliche Ebene" verrutscht, dass die Grundlage eines jeden guten Streitgespräches untergraben und aufgelöst wird, nämlich der Respekt vor dem Gegenüber und dem damit verbundenen so anderen Standpunkt. Einverstanden, natürlich!


Interessant ist dabei allerdings, dass "persönlich" mit "emotional" und "emotional" mit "gefährlich" gleichgesetzt wird. Und sofort setzt der Schutzreflex ein, sei es für sich selbst oder fürsorglich für andere. Dabei besteht der angestrebte Schutz darin, nach Möglichkeit alle Emotionen auszuklammern, um um jeden Preis "den persönlichen Angriff" zu vermeiden. Und tatsächlich: Oberflächlich betrachtet scheint das dann auch häufig genug zu gelingen.


Der Preis allerdings ist hoch, denn es kommt vorhersehbar nicht mehr alles das zur Sprache, was hinter den Sachargumenten steht und worum es in aller Regel wirklich geht: Persönliche Betroffenheit, persönliche Werte, persönliche Bedürfnisse. Und diese dann in einem so gerahmten Gespräch keinen Raum mehr haben, wird das Gespräch hohl, blutleer, phrasenhaft und vor allem: Das worum es eigentlich geht wird nicht angesprochen. Es darf ja nicht angesprochen werden. Es entwickeln sich Gesprächstaboos (mit Luhmann gesprochen: "Kommunikationslatenzen") und das soziale System lernt, was nicht gesagt werden will. Ergo: Die "Elefanten" im Raum wachsen. Und wachsen. Und wachsen. Bis man dann irgendwann einen externen Berater oder gleich einen Mediator ruft, denn auf der Basis des gemeinsamen Gesprächsverbots über Persönliches kann man eben irgendwann nicht mehr über Persönliches sprechen. Blöd nur, wenn es "eigentlich" um Persönliches geht...


Dabei ist die Verwechslung offensichtlich: "Sachlich" wird gleichgesetzt mit "nicht angreifend". Das ist aber überhaupt nicht dessen Gegenteil! Das Gegenteil sachlicher Argumente sind persönliche Standpunkte. Und das Gegenteil davon, jemanden auf unfaire Weise zu beleidigen, lächerlich zu machen, herabzuwürdigen oder auf andere Weise "zu verletzen" ist keineswegs "sachlich", sondern "respektvoll" und "wohlwollend".


Es spricht also überhaupt nichts, gar nichts dagegen, persönlich zu sprechen. Solange das persönliche Sprechen als Person oder das persönliche Sprechen zu einer Person in einer erkennbar respektvollen Haltung und auf der Grundlage einer unbedingt wohlwollenden Beziehung geschieht. Und wenn es eben die persönliche Eigenheit des Kollegen ist, die mich aufgrund meiner persönlichen Eigenheiten permanent stört, nun dann hilft es einfach nicht, "sachlich" zu bleiben. Das einzige was hilft, ist es, auf respektvolle und beziehungshaltende Weise sich mit seinen Bedürfnissen und Wünschen persönlich zu zeigen, das nervende Verhalten so konkret wie möglich zu benennen und den anderen einzuladen, auf diese Situation differierender Wahrnehmungen, Deutungen, Erlebnisse und Bedürfnislagen ebenso respektvoll auf ebenso persönliche Weise zu reagieren und sich und seine Welt zu zeigen. Und dann in die gemeinsame Aushandlung dessen zu gehen, womit beide gut leben können. Und dann zu erleben, dass der Mut, sich so als Mensch zu zeigen vom Gegenüber verstanden und gewürdigt werden kann als das, was es im Kern ist: eine Investition in die Arbeitsbeziehung.


Am Arbeitsplatz auf solch gelingende Weise bewusst persönlich zu werden - und das auch kollektiv kulturell zu ermutigen und einzuüben - das bezeichnen wir gerne als die Kunst, "professionell persönlich" zu sprechen. Eben "wohlwollend persönlich" statt "persönliche verletzend". Aber eben auch "wohlwollend persönlich" statt "unpersönlich unemotional". Denn bei allem angemessenen Persönlich-Werden geht es ja dabei nicht darum, die Grenze zum Privaten verschwimmen zu lassen, geht es keineswegs darum, mit jedermann und -frau zum "Freund" zu werden. Es geht schlicht darum, mit dem entscheidenden und doch gleichzeitig so fragilen Gut der "guten Arbeitsbeziehung" sehr bewusst umzugehen und gemeinsam daran zu arbeiten. Anstatt zu hoffen, dass diese von ganz alleine und vor allem ohne jede Form der Auseinandersetzung gelingen wird.


Ist diese Grundlage erst einmal gelegt, dann lässt sich auch - wie von alleine - ganz hervorragend inhaltlich streiten. Eben weil die Angst vor der Emotion nicht mehr im Raum steht, sondern das Gespräch getragen ist vom Wissen um Respekt in der Verschiedenheit und von dem Willen, es darin gemeinsam so gut wie möglich zu machen.

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