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Andreas Wolf

"Systemisch-ästhetisch" - was soll das sein?

Am FELIX Institut und in unserer Beratungspraxis setzen auf einen systemisch-ästhetischen Ansatz für Coaching und Beratung. Was meint das: "systemisch-ästhetisch"? Und wofür ist das gut?


Die Systemtheorie und mit ihr die systemischen Beratungsansätze lehren uns, biologische, psychische und soziale Systeme in ihrer Komplexität besser zu verstehen. Wir können sie als "geschlossene Einheiten mit ihren Eigenlogiken" deuten, die "in relationaler Verbindung zu ihren relevanten Umwelten stehen" und deren Fortbestehen auf ein "Gelingen dieser Kopplungen" angewiesen ist.


So nützlich das ist (und wir setzen diese Konzepte regelmäßig mit großem Gewinn in der Praxis ein) – schon beim Verwenden der systemischen Sprache kann man sich kaum des Gefühls entziehen, dass das "nicht alles sein kann", wenn man über den Menschen und seine Belange spricht. Schon die Sprache verrät: Hier wird mit dem kühlen Blick des distanzierten Beobachters geschaut. Und das macht ja auch Sinn. Die Systemtheorie beschreibt eben exakt die Außenperspektive eines Systems als betrachtet durch die Augen eines Beobachters. Genau das will sie und genau das tut sie: sehr effektiv, sehr präzise und ebenso sehr begrenzt.


Was die Systemtheorie nicht leisten will und kann, ist es, die Innenperspektive eines Systems sichtbar zu machen. Das Erleben der Betroffenen, die vom Individuum subjektiv gefühlte Bedeutung eines Ereignisses, das Gefühl von Leben und Lebendigkeit, von Beengung und Bedrohung, von Rührung und Jubel... All das sind keine Themen des systemischen Denkens; es sind aber die Themen des ästhetischen Denkens. Es ist nicht die die Sprache der Beobachtung, sondern die Sprache des Erlebens, des Gefühls, des Betroffenseins. Wir finden diese "ästhetische" (weil empfindungsbewusste und empfindungsadequate) Sprache u.a. in der Phänomenologie, in der Gestaltarbeit, in der Hypnosystemik und in der Poesie. Die Ästhetik (im ursprünglichen Wortlaut: die Aisthetik) ist von ihrem neuzeitlichen Ursprung bei Baumgarten (1750: Aesthetica) her eine "Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung". Es geht dabei um eine Gespürkompetenz für alle embodimentalen, emotionalen, intuitiven und im weitesten Sinne "unscharfen" Wahrnehmungen alles Lebendigen. Als solche fungiert die Ästhetik auch als Integration von Ratio und Emotio, die – wenn sie gelingt, von Baumgarten im Idealbild des „felix aestheticus“, des "glücklichen Ästheten", "wirksamen Künstlers" oder "gelingenden Weltenschaffers" gefasst wurde.


In diesem Sinn ergänzen wir die beobachtend-analytische Außenperspektive mit ihren Handlungsspielraum schaffenden Fragen durch die intuitive Gespürkompetenz und den Bearbeitungsraum für die Ängste und Hoffnungen der beteiligten Menschen.


Auf dass der Mensch lebt! Und nicht nur soziale Systeme überleben.


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